Ich bin bei einer Freundin zu Besuch und beobachte mit Faszination, wie sie während unserer Plauderei unermüdlich die Hände bewegt. Ab und zu wirft sie einen Blick darauf, aber meistens widmet sie sich ganz unserer Unterhaltung. Ein sanftes, leises Klicken ist zu hören. Wie viele andere meiner weiblichen Bekannten und Freunde ist sie eine begeisterte Strickerin, die jede Gelegenheit dazu nutzt, an ihrem Stück weiter zu stricken.

Ich frage sie, warum sie das tut. Heutzutage kann man Pullover und Schals doch so günstig kaufen, dass die viele Arbeit des Selberstrickens sich doch kaum lohnt. Es beruhige und entspanne sie, sagt sie, und außerdem mache es einfach Spaß, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen. Das kann ich gut verstehen, und spontan frage ich sie, ob sie mir das Stricken beibringen würde. Warum sollten sich nicht auch Männer dieses entspannende Vergnügen gönnen? Sie sieht mich mit großen Augen an, dann grinst sie und nickt. Gerne, wenn du dir das zutraust, murmelt sie und steht auf, um Wolle und Nadeln für mich zu holen.

Ich bin gespannt. Es sieht immer so leicht und mühelos aus, das muss doch hinzukriegen sein. Logisch betrachtet zieht man doch immer nur eine Schlaufe durch eine andere, mehr nicht. Sie kommt zurück und drückt mir ein Knäuel Wolle in die Hand. Dann beginnt sie mit ihren Instruktionen. Man muss auf irgendeine bestimmte Weise den Wollfaden mehrfach um Finger und Daumen wickeln und mit der Stricknadel dann Schlaufen auf die Nadel heben. Ich verstehe gar nichts und bitte sie, mir diesen – Anschlag hat sie es glaube ich genannt – doch zu zeigen. Das tut sie, auf meine Bitte hin immer langsamer, und ich starre eine Viertelstunde lang auf ihre Hände. Ich sehe trotzdem nur wirbelnde Nadeln, Finger und Fäden. Bei meinen eigenen Versuchen entstehen entweder unentwirrbare Knoten oder einfach nur lose Schlaufen, mit denen man nichts anfangen kann. Ich kann mir weder merken, wie man die Wolle um die Finger wickeln muss, noch, über oder unter welchem Fadenstück man sich die Schlaufe angeln muss.

Entnervt frage ich sie, ob man das mit diesem Anschlagen nicht lassen kann und sofort mit dem eigentlichen Stricken beginnen könne, das erscheint mir einfacher. Nun gut, sagt sie, schlägt flink ein paar Maschen an und strickt einige Reihen. Dann drückt sie mir das Ganze in die Hände und erklärt mir, wie ich die Teile halten muss, und wie man sich den Faden um die Finger wickelt. So, jetzt ist es soweit – ich stricke meine erste Masche. Und sofort lerne ich, was „Fallen lassen“ bedeutet, denn als ich den Faden mit der Stricknadel durch die Masche wurschteln will, rutscht sie einfach so herunter und verschwindet. Da stimmte was mit der Fadenspannung nicht, meint meine Freundin. Aha.

Gut, also spanne ich meinen Faden und angele erneut nach einer Schlaufe. Schon besser, die Masche fällt nicht herunter und ich habe tatsächlich meine erste Masche gestrickt! Nach einer Viertelstunde habe ich sogar mit nur wenigen Verlusten die ganze Reihe fertig. Na bitte, geht doch! Auch Männer können also stricken. Das entspannende Moment vermisse ich allerdings noch, ich bin schweißgebadet und total erschöpft, in den Fingern habe ich starke Krämpfe. Bis ich so weit bin, werde ich wohl noch einiges üben müssen.